16. Juni 2016

Nachhaltigkeit – Der Weg ist das Ziel.

 

Die gesellschaftlichen Erwartungen an die Qualität und die Erzeugung unserer Lebensmittel steigen stetig. Fragen nach der Herkunft der Rohstoffe, den Haltungsbedingungen der Tiere, der Bewirtschaftung der Ackerflächen und der Sicherheit im Verlauf der Produktionskette treten immer stärker in den Vordergrund. „Nachhaltigkeit“ in allen Prozessphasen wird gefordert – auch vom Handel.

Grundverständnis: Ja.

Einheitliche Maßstäbe: Nein?

Was aber ist „Nachhaltigkeit“? Zwar gibt es das Grundverständnis, dass nachhaltig nur ein Verhalten sei, das in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht so verantwortungsvoll mit den vorhandenen Ressourcen umgeht, dass auch die künftigen Generationen noch mit und von diesen Ressourcen leben können.

Der von der Bundesregierung berufene Rat für Nachhaltige Entwicklung beschreibt die nachhaltige Entwicklung wie folgt: Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften bedeutet also: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.“

Zugleich aber wird der Begriff „Nachhaltigkeit“ immer unschärfer, komplexer und vieldeutiger, je näher man ihn im Hinblick auf einzelne Fragestellungen betrachtet und konkret zu definieren versucht.

Auch die Milchwirtschaft ist mit dieser Problematik konfrontiert: „Nachhaltigkeit“ wird gefordert – von Verbrauchern wie vom Handel, und auch von der Politik. Aber was genau „nachhaltige Milchwirtschaft“ sei – darüber gibt es selbst unter anerkannten Wissenschaftlern unterschiedliche Ansichten.

Engagement ist selbstverständlich.

Schwerpunkte sind unterschiedlich.

In Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat man ausführliche Fakten zur „Nachhaltigen Milcherzeugung“ zusammen getragen. Mit wissenschaftlicher Unterstützung des Thünen Instituts wurden ausgewählte Nachhaltigkeitsaspekte auf den Höfen erfasst und als Status-Quo-Analyse veröffentlicht. Mit dem Ziel: Bestehende Leistungen und Verbesserungsbedarf aufzeigen.

Die Molkereien in Deutschland haben auf ihre Weise auf diese schwierige Lage reagiert: Fast jede hat sich in den letzten Jahren mit dem Thema befasst; die meisten mit dem Ergebnis, dass sie für sich selbst einen Kodex formuliert haben, der definiert, welche Aspekte mit welchem Anspruch umgesetzt werden sollen.

DIALOG MILCH hat sich die Maßstäbe für Nachhaltigkeit angeschaut, zu denen sich deutsche Molkereien verpflichten. Welchen Themen widmet sich die Molkerei und welche Ziele setzt sie sich? Wo liegen die Schwerpunkte; was wird konkret formuliert und womöglich in Zahlen vorgegeben oder angestrebt; wo bleibt man eher vorsichtig und in den Zielen und Vorgaben vage?

Das Bild, das sich ergibt, ist so eindrucksvoll wie vielfältig. Unverkennbar ist, welche Bedeutung dem Thema von ausnahmslos allen erfassten und begutachteten Molkereien beigemessen wird. Deutlich wird aber auch, dass es bei den Kernthemen und manchen Zielsetzungen zwar  Übereinstimmungen, insgesamt aber keine gemeinsamen, einheitlichen Grundwerte, keine gemeinsamen Ziele gibt.

Beispiel „Ganzjährige Anbindehaltung“.

Dafür gibt es viele Gründe: Beim Thema „Tierhaltung / Tierwohl“, zum Beispiel, unterstützt die überwiegende Mehrheit an Molkereien in Nord-, West- und Ostdeutschland schon vor einem Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung Maßnahmen zur Einschränkung dieser Haltungsform.

In den süddeutschen Molkereien hingegen wird das Thema deutlich verhaltener artikuliert.

Schlussfolgerungen indes, die aus dieser regional unterschiedlichen Position zur ganzjährigen Anbindehaltung ein unterschiedlich hohes Maß an Engagement in Sachen Nachhaltigkeit ableiten wollten, griffen erheblich zu kurz. Denn sie ignorierten, dass ein kurzfristiges „Nein“ zur ganzjährigen Anbindehaltung für die Mehrheit der Milchbauern in Süddeutschland ein hohes Maß an Umstrukturierung und finanziellem Investment bedeutet, während dasselbe „Nein“ in Nord-, West- und Ostdeutschland leichter gesagt werden kann, weil es die ganzjährigen Anbindehaltung dort seit langem kaum mehr gibt oder schon lange nicht mehr in vergleichbarer „Selbstverständlichkeit“ gegeben hat.

Gleiches Ziel, aber unterschiedliche Belastung?

Warum ist die Ausführung dieses Beispiels so wichtig? Erstens, weil es zeigt, dass die Erfüllung der – eigentlich vernünftig und selbstverständlich klingenden – Forderung nach „einheitlichen Standards“  für die Beteiligten in der Milchwirtschaft – insbesondere die Bauern – eben nicht so selbstverständlich ist, weil sie in verschiedenen Regionen auf verschiedene historisch gewachsene Umstände und baulich wie auch wirtschaftlich unterschiedliche Situationen trifft. Mithin auch die Folgen im Sinne von Veränderungen, die unternommen und von Investitionen, die getätigt werden müssen, regional sehr unterschiedlich sind. Was wiederum zu einer erheblichen Benachteiligung jener Landwirte führen kann, die in der deutlich stärker betroffenen Region ihren Hof haben – hier im süddeutschen Raum.

Bestandsaufnahme: Ja. – Bewertung: Nein.

Stattdessen: Mehr Nachhaltigkeit durch mehr Dialog.

DIALOG MILCH wird deshalb das Thema „Nachhaltigkeit“ als eines der wichtigsten Themen der Milchwirtschaft aufgreifen, aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und, auch in der Auseinandersetzung mit Kritikern, nach möglichen Fortschritten und neuen Ansätzen suchen.

Von jeder Form der Bewertung jedoch wird DIALOG MILCH Abstand nehmen; mehr noch: DIALOG MILCH empfiehlt jedem interessierten Teilnehmer von der Debatte Abstand zu nehmen. Nachhaltigkeit ist ein Prozess. Solange kein relevanter Aspekt bewusst verdrängt bzw. aus der Debatte und dem individuellen oder dem Engagement der Branche herausgehalten wird, muss es erlaubt sein, dass Ziele zu solchen Themen, die dem Milchbauern und den Molkereien kurzfristig eine weniger hohe Belastung abfordern, schneller konkretisiert und umgesetzt werden. Wie gesagt: Solange wichtige Aspekte und negative Einflussfaktoren auf das Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit nicht ignoriert, beschönigt oder in Abrede gestellt werden.

Vier Kategorien bilden die Säulen von nachhaltiger Milchwirtschaft

Der von DIALOG MILCH erstellte Überblick (siehe Tabelle) über das Nachhaltigkeits-Engagement von deutschen Molkereien konzentriert sich insofern auf vier Kategorien:

Nachhaltigkeitskategorien

Kategorie Ökologie:

Diese Kategorie reicht von Maßnahmen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ausscheidungen der Kühe (Gülle), der Vermeidung von Nitratbelastungen auf den Weiden und Feldern durch einen dem Nährstoffbedarf der Böden angemessenen Einsatz des wertvollen Wirtschaftsdüngers „Gülle“ und dem Erhalt und der Pflege von Landschaftselementen bis zum Einsatz regenerativer Energien und Wasser sparender Techniken auf den Höfen.

Kategorie Tierwohl:

In dieser Kategorie wurden alle Maßnahmen erfasst, die der Gewährleistung einer tiergerechten  Haltung der Kühe und der Förderung ihres Wohlbefindens dienen. Darunter fallen Themen wie Tiergesundheit, Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes, Fütterung, die Art der Stallung (Anbindehaltung oder Laufstall) oder Möglichkeiten des Weidegangs sowie die Enthornung von Kälbern.

Kategorie Soziales:

Dieser Kategorie haben wir alles zugeordnet, was im weitesten Sinne das Wohl der Landwirte und ihrer Familien sowie der Arbeiter und Angestellten in den Molkereien betrifft, was aber auch, in vielfältiger Form, als „bürgerschaftliches Engagement“ bezeichnet werden kann: Von dem ehrenamtlichen Engagement in örtlichen Vereinen, Tagen der offenen Tür bis zu der Selbstverpflichtung, dass bei Produktionen in Dritte-Welt-Ländern auf eine Förderung der einheimischen Milchwirtschaft zu achten ist (die oft nicht ohne weiteres die benötigten Mengen in gleicher Qualität herstellen kann).

Kategorie Ökonomie:

Diese Kategorie fasst zusammen, was teilweise auch in andere Kategorien gehört bzw. auf andere „Konten“ von Nachhaltigkeit „einzahlt“: Verbesserungen bei der Organisation der Milchabholung (Kürzere Wegstrecken) helfen einerseits Zeit und Kosten in der Logistik, andererseits Treibstoff zu sparen und dienen damit zugleich dem Umwelt-, Natur- und Ressourcenschutz. Eine computergesteuerte Beobachtung von Fressverhalten, Bewegungsprofil und Körpertemperatur dient zunächst und vor allem dem Tierwohl, zugleich aber auch dem Schutz der „lebenden Werte“ des Landwirts, denn kranke Kühe geben keine Milch und kosten medizinische Versorgung. Zu dem Bereich gehören aber auch die Nutzung von Beratungsangeboten, die soziale Absicherung der vom Betrieb lebenden Personen und die finanzielle Stabilität des Betriebes.

Sind die Großen der Branche auch

die Großen bei Nachhaltigkeit?

Die hier veröffentlichte Übersicht (siehe Tabelle) schaut auf die Großen der Molkereien in Deutschland, auf Nachhaltigkeitsstudien im Bereich der Milcherzeugung.

In zwei Bundesländern (Niedersachsen und Schleswig-Holstein) wurde eine repräsentative Status-Quo–Analyse ausgewählter Nachhaltigkeitsaspekte der Milcherzeugung durchgeführt. Folgende Aspekte wurden u.a. untersucht: Haltung und Wohlbefinden von Kühen, Umgang mit natürlichen Ressourcen wie Boden und Wasser sowie den Umgang mit Mitarbeitern

Manche Molkereien konkretisieren die Zielvorgaben bis hin zu eigenen Kriterienkatalogen. Neben einer nachhaltigen Arbeitsweise soll damit auch die Qualitätssicherung hervorgehoben werden. Entsprechend sind die Programme dieser Molkereien sehr konkret und oft auch umfangreich.  Sie berücksichtigen Verbraucherforderungen, die Qualität ihres Produktes und die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter.

Sowohl die Themen, denen man sich hauptsächlich widmet, als auch die Art der Kommunikation unterscheiden sich sehr stark.