1. Juni 2016

Durchblick bewahren:  Milch ist mehr wert? Ist sie nicht!
Ein Kommentar von Diana Dittmer vom 30.05.2016
Die meisten Verbraucher langweilt die Milchkrise. Sie freuen sich über Niedrigpreise. Im Kampf um Unterstützung haben Lobbyisten einen Fehler gemacht. Sie haben von einer wichtigen Frage abgelenkt.
Landauf, landab sind die deutschen Bauern auf den Barrikaden. „Milch ist mehr wert“, machen sie ihrem Unmut auf Plakaten Luft. Je näher der Milchgipfel, desto lauter die Proteste. Sind solche Aussagen dadurch richtiger? Nein. Angesichts des Spitzentreffens von Bauern, Handel und Milchindustrie in Berlin müssen ein paar Dinge richtiggestellt werden.
Wo Milch im Überfluss strömt, ist sie nicht mehr wert. Die Preise fallen. Das nennt man Marktwirtschaft und diese folgt einem einfachen ökonomischen Prinzip: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Vielleicht ist Milch in Deutschland mehr wert. Aber nur, weil Bauern teurer produzieren als anderswo auf der Welt. Global betrachtet ist sie nicht mehr wert. Denn Milch wird nicht nur in Deutschland produziert und der deutsche Markt ist nicht abgeschottet.
Genauso ist die Behauptung des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter, die Milchwirtschaft sei „too big to fail“, falsch. Milch aus Deutschland ist nicht systemrelevant. Die Milchkrise ist nicht die Bankenkrise. Die deutsche Milchindustrie liegt auf Platz vier aller Industriebranchen, die Finanzbranche ist eine ganz andere Liga. Banken wie die Commerzbank wurden gerettet, weil ein Dominoeffekt die ganze Wirtschaft bedrohte. Seitdem müssen sich die Finanzinstitute Stresstests und Vorgaben bei den Eigenkapitalquoten gefallen lassen – weil sie sich selbst helfen können sollen. Wo Banken einmal verstaatlicht wurden, zieht sich der Staat zurück. Hat die Landwirtschaft ein Abo auf Rettungsmaßnahmen auf immer und ewig? Nein. Genau genommen hat sie ihre Stresstests in den vergangenen Jahrzehnten versemmelt. So gesehen hat sie ihre Marktzulassung schon längst verloren.
Der Bauernverband sagt, Elektroautos werden gefördert, also muss auch die Milchwirtschaft subventioniert werden. Noch so eine Behauptung. Auch hier: ein klares Nein. Wer aus der Agrarwirtschaft kommt, sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Wir wollen uns mehr saubere Autos leisten, aber kein Zuviel an Milch. Subventionen haben die Landwirtschaft schon immer nur künstlich am Leben gehalten. Auch die Milchquote war kontraproduktiv. Die Preise sind weiter gefallen. Genauso hat das Höfesterben nicht aufgehört. Die Marktbereinigung ging weiter, der Todeskampf war nur länger. Das Pampern der Agrarwirtschaft hat nur eins bewirkt: die Abhängigkeit der Landwirtschaft zu verstärken. Genau aus diesem Grund wurde die Milchquote abgeschafft.
Jetzt heißt es, den Durchblick zu behalten: Was wachsen kann, muss auch schrumpfen können. Bauern müssen mit dem Wettbewerb leben. Der Strukturwandel wird weitergehen. Das ist das eine. Das andere ist: Es wird noch schlimmer kommen. Dafür wird das Handelsabkommen TTIP sorgen. Schon aus diesem Grund sollten sich jetzt alle ernsthaft fragen, ob sie weitere Millionen oder Milliarden Euro in die Milchwirtschaft pumpen wollen.
Wenn wir ehrlich sind, ist die Zukunft der Landwirtschaft keine ausschließlich ökonomische Angelegenheit. Möglicherweise wird die deutsche Milchwirtschaft nie auf eigenen Füßen stehen. Vielleicht wollen wir aber nicht ohne Landwirtschaft leben. Oder nach Neuseeland oder die USA reisen, um unseren Kindern Bauern zu zeigen, die Kühe melken beziehungsweise die Maschine melken lässt.
Die Welt hat sich kolossal verändert, vor allem ist sie globaler geworden. Globaler, als uns lieb ist. Nein, Milch ist nicht mehr wert. Aber wenn wir weiterhin Milchbauern haben wollen, müssen wir uns die Frage stellen, was uns eigentlich unsere Bauernhöfe wert sind? Sind sie uns lieb UND teuer? Und wenn ja, WIE teuer?

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