4. September 2017

Im Gespräch mit Kerstin Krohn, Initiative Innovation & Naturhaushalt

Kerstin Krohn, Initiative Innovation & Naturhaushalt

DIALOG MILCH: Frau Krohn, inwieweit hat die Landwirtschaft aufgrund ihrer vorherrschenden Stellung als Flächennutzer auch eine besondere Verantwortung für den Erhalt der Artenvielfalt?

Kerstin Krohn: Die Landwirtschaft ist auf die natürlichen Ressourcen angewiesen. Schon deshalb ist sie gut beraten, so sorgsam wie möglich damit umzugehen. Ökosystemdienstleistungen wie die Bestäubung oder die Filterfunktion des Bodens für Sickerwasser sind aber nicht nur für Landwirte unverzichtbar, sondern für uns alle. Geraten Ökosysteme aus dem Gleichgewicht, kann das zu einschneidenden Verlusten bei der biologischen Vielfalt führen. Wir alle können nicht länger warten, hier konsequent gegenzusteuern. Wenn es um den Rückgang wildlebender Tier- und Pflanzenarten in der Agrarlandschaft geht, wird oft zuerst auf die Landwirtschaft gezeigt. Dabei wird übersehen, wie viel Landwirte nicht nur für gute Erträge, sondern auch für die Lebensräume vieler Arten leisten, indem sie z. B. Hecken, Kraut- und Blühstreifen oder Brachen anlegen.

DIALOG-MILCH: Artenvielfalt wird ja oft auf Ebene eines Feldes oder einer Wiese bewertet. Legt Ihre Erfahrung mit dem „Eh da-Projekt“ nahe, auch einmal den übergeordneten Blick auf Landschaftsebene zu richten?

Offene Böschung, Nisthabitat

Kerstin Krohn: Das halte ich für unabdingbar, und auch unser Projekt „Eh da-Flächen für mehr Artenvielfalt“ baut im Wesentlichen auf zwei Prämissen. Erstens: Die Vielfalt der Arten geht uns alle an, nicht nur die Landwirte. Auch kommunale Flächen wie Straßenböschungen, Bahndämme oder Gemeindeflächen – also Flächen, die „eh da“ sind – bieten sich für die ökologische Aufwertung an. Zweitens: Viele Arten, so auch die Wildbienen, die in unserem Projekt als Indikatorengruppe zur Biotopbewertung im Fokus stehen, brauchen kombinierte Lebensräume, in denen sie ausreichend Nahrung und geeignete Nistmöglichkeiten finden. Ein Netz aus gezielten ökologischen Maßnahmen am oder im Acker und aufgewerteten Flächen in der Gemeinde bedient auf einfache Weise die Lebensraumansprüche von Wildbienen und anderen Insekten. Inzwischen gibt es in Deutschland viele Beispiele, wo Landwirte und Bürgermeister das gemeinsam unter Beweis stellen.

DIALOG-MILCH: Bei dem Themenkomplex „Natur und Biodiversität“ geht es gerade in der öffentlichen Diskussion häufig in besonderem Maß um eine einzelne Art: Die Honigbiene bzw. Bienen allgemein. Welche Rolle spielt die Landwirtschaft hier aus Ihrer Sicht, und welche Ansätze bestehen – auf Flächen in der Landwirtschaft ebenso wie auf „Eh da-Flächen“ – den Bienen weiter „unter die Flügel zu greifen“?

Teilmahd neben der Straße

Kerstin Krohn: Eine Unterscheidung der Arten ist schon sinnvoll. Während die Honigbiene in der Obhut des Imkers lebt und von Massentrachten wie Obst und Raps profitiert, müssen sich Wildbienenarten ihre individuellen Lebensräume in freier Wildbahn suchen. Viele sind Nahrungsspezialisten, also auf ganz bestimmte Pflanzen angewiesen. Landwirte können sich darauf einstellen, indem sie Blühstreifen mit einem passenden Blütenangebot für Wildbienen – und die Honigbiene – anlegen. Offene Rohbodenflächen, sogenanntes Biotop- oder Totholz oder Lesesteinhaufen dienen als Nistplätze. Auf „Eh da-Flächen“ in der Gemeinde steigt schon durch ein- oder zweimal weniger Mähen das Blütenangebot, und trockenes Gestrüpp ist für viele Arten die ideale Brutstätte. Der Lohn für den vielleicht etwas beanspruchten Ordnungssinn einzelner Bürger ist das schon bald wieder häufiger hörbare Summen dieser für uns so wichtigen Insekten.

Porträt: © Forum Moderne Landwirtschaft,
die beiden anderen Aufnahmen: © Christoph Künast

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