14. Dezember 2017

Am 20. November strahlte Arte die Dokumentation „Das System Milch“ von Regisseur Andreas Pichler aus. Der Film kritisiert die moderne Milchwirtschaft in ihren verschiedenen Facetten.

Aber: Gibt es ein solches „System“ wirklich? Oder trifft eher die Kritik zu, die als Reaktion auf die Dokumentation etwa von Milchbauern geäußert wurde?

Wir haben dazu mit dem konventionell wirtschaftenden Landwirt Fred Arkenberg aus Wunstorf, mit dem Regisseur Andreas Pichler und mit Wilhelm Brüggemeier, Geschäftsführender Vorstand der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Nordrhein-Westfalen e. V., gesprochen. Die Meinungen zu „dem System“ und zu der Dokumentation gehen auseinander.

Fred Arkenberg
© Landvolk Hannover

Was ein konventioneller Milchviehhalter sagt:

DIALOG MILCH: Herr Arkenberg, Sie bewirtschaften einen Milchviehbetrieb im niedersächsischen Wunstorf. Welchen Eindruck hatten Sie von dem Dokumentarfilm „Das System Milch“?

Fred Arkenberg: Es ist nie gut, wenn aus generalisierenden Aussagen einseitige Schlussfolgerungen gezogen werden. Ich habe mich tatsächlich darüber geärgert, dass ein so komplexes Thema mit so viel Schwarzmalerei dargestellt wurde. Der Film suggeriert, dass es einfache Lösungen gäbe. Die gibt es aber nicht!

Überhaupt ist für mich schon der Titel „Das System Milch“ falsch. Das klingt so, als habe jemand quasi im Alleingang etwas geschaffen, das dann auch noch verwerflich sei. Das Gegenteil ist der Fall: Es sind 70 Prozent der Molkereien Genossenschaften und damit in bäuerlicher Hand. Das Problem ist nur, dass auch sie mit dem freien Markt zurechtkommen müssen.

Ebenso deutlich möchte ich aber auch sagen, dass ein Spruch wie „…dann muss man eben die Bullenkälber totschlagen“ mit verantwortungsvoller Tierhaltung und Ethik rein gar nichts zu tun hat: Eine solche Haltung eines Tierhalters wäre für mich nicht akzeptabel und auch nicht vorstellbar.

Zu dem Filmbeitrag lautet mein Fazit deshalb: Der richtige Weg ist immer etwas, worüber man streiten kann. Das sollte aber nicht auf eine so einseitige Weise erfolgen.

DIALOG MILCH: Wo setzt Ihre Kritik an der Einseitigkeit an?

Fred Arkenberg: Die Forderung „zurück zu früher“ kann es nicht geben. Wenn die Konsumenten wüssten, was das für die Tiere und für sie selbst bedeuten würde, hätte niemand den Wunsch nach einem solchen „zurück“. Was der Film übrigens völlig auslässt, ist eine CO2-Äquivalent-Vollkostenrechnung: Die Erzeugung von einem Kilogramm Milch verursacht in Deutschland Emissionen im Gegenwert von 1,1 kg CO2-Äquivalenten. Im europäischen Durchschnitt liegt dieser Wert schon bei 2,3 kg und in Afrika beispielsweise bei 7,2 kg CO2-Äquivalenten: Das heißt, wir erzeugen die Milch hier weitaus umweltfreundlicher, als dies in vielen anderen Ländern möglich ist. Ebenso zeigt der Film nicht, dass die Haltungsstandards in Deutschland und in weiten Teilen Westeuropas immer stärker auf Tierwohl und Tiergesundheit ausgerichtet wurden. Wären sie das nicht, dann gäbe es nicht dauerhaft die hohen Leistungen, die unsere Tiere erbringen. Die gibt es nur, wenn es den Tieren gut geht.

DIALOG MILCH: Und wie steht es mit der Kritik an den Auswirkungen der hiesigen Milchwirtschaft? Laut dem Film bedroht beispielsweise die ungezügelte Exportpolitik der EU die Existenz von Bauern und kleinen Molkereien in Entwicklungsländern.

Fred Arkenberg: Wenn wir noch eine Agrarpolitik hätten, die auf die Stützung der Produktion ausgerichtet wäre, könnte ich diese Kritik zum Teil verstehen. Wir haben aber die Milchquote abgeschafft – und damit weitgehend auch die Voraussetzungen für diese Kritik. Auch die Exporterstattung ist im Rahmen der WTO-Verhandlungen ab 2013 beendet worden. Im Gegenteil müssen die Milcherzeuger in Deutschland trotz der hier geltenden hohen Sozial-, Tierschutz- und Qualitätsstandards mit den günstigen Produkten konkurrieren, die aus anderen Ländern in die EU importiert werden. Auch dazu bezieht der Film leider keine Stellung.

Andreas Pichler
© miramontefilm

Was der Regisseur Andreas Pichler sagt:

DIALOG MILCH: Herr Pichler, trifft das in Ihrem Film gezeichnete Bild auf jeden konventionell wirtschaftenden Milchviehhalter zu?

Andreas Pichler: Im Prinzip ist jeder daran beteiligt, der mit konventioneller Milch zu tun hat. Egal ob Bauer, Bauernvertreter, Händler, Konsument oder Politiker.

DIALOG MILCH: Ist es „das System“ – oder ist jeder einzelne Milchviehhalter Teil und treibende Kraft des Systems?

Andreas Pichler: Das ist immer die spannende Frage, die nie mit „entweder oder“ beantwortet werden kann. Im Film wird ja klar, dass die Bauern durchaus auch treibende Kraft dieses Prozesses waren und sind. Über ihre Vertreter, die sie geil darauf gemacht haben, mehr verdienen zu können. Andererseits sind die Bauern aber als schwächstes Glied in der Kette, nach den Tieren, auch Getriebene und oft mit dem Rücken an der Wand, können gar nicht anders. Warum so viele Bauern immer noch Mitglieder im Deutschen Bauernverband sind, der sehr wohl ein Treiber des Systems ist, ist mir allerdings ein Rätsel.

DIALOG MILCH: Ginge es nach Ihrer Einschätzung auch anders – und welche Schritte müssten dafür eingeleitet werden?

Andreas Pichler: Die erste Säule in der EU-Agrar-Förderung (fast zwei Drittel der 45 Milliarden) sollte in dieser Form – als reine Flächenprämie – aufgegeben werden und gänzlich an Umwelt- und Nachhaltigkeitsleistungen der Bauern geknüpft werden.

Konsumenten müssten ehrlich und offen über die Produkte und die Produktionsbedingungen aufgeklärt werden. Ich denke, dann würde sich auch das Konsumentenverhalten noch schneller verändern, als es das eh schon tut.

Eine Landwirtschaft, die an der Gesellschaft vorbei arbeitet, wird auf Dauer keine Existenzberechtigung mehr haben.

DIALOG MILCH: Was wäre Ihre Vision des Umgangs mit Milch?

Andreas Pichler: Hochwertige, hochqualitative Produkte werden immer besser Absatz finden in Europa. Die Bindung an die Menschen aus der Region ist essenziell. Und die Menschen wollen, dass die Kühe glücklich sind, dass die Umwelt nicht versaut wird, dass die Bauern von ihrer Arbeit leben können und die Landschaft vielfältig bleibt. Dafür sind sie auch bereit zu zahlen. Diese Vertrauensbindung zwischen Produzenten und Konsumenten ist unheimlich viel wert und der Schlüssel für die europäische Landwirtschaft – nicht der Weltmarkt.

Wilhelm Brüggemeyer
© Leichhauer – DIALOG MILCH

Was Wilhelm Brüggemeier von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Nordrhein-Westfalen e. V. sagt:

Dialog MILCH: Herr Brüggemeier, was ist Ihr Eindruck von „Das System Milch“ – legt der Film zu Recht den Finger in die Wunde?

Wilhelm Brüggemeier: Der Beitrag mag ja filmerisch gut gemacht sein, aber ich bin wütend und traurig zugleich, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender wie Arte einen so einseitigen und tendenziösen Beitrag überhaupt ausstrahlt, ohne eine Gegendarstellung in Form von Beiträgen, Interviews oder Diskussionsrunden zu präsentieren, denn inhaltlich zu kritisieren sind große Teile dieses Films.

Dialog MILCH: An welchen Punkten setzt denn Ihre Kritik am Film an?

Wilhelm Brüggemeier: Von der Haltung und Fütterung der Kühe über Gülle und Grundwasser bis zum Raubbau im Regenwald und der Flutung der Märkte in Entwicklungsländern wird so ziemlich alles einseitig skizziert. Hätte der Film das vorgestellte Leitbild des Biobetriebs mit Hofkäserei auch nur ansatzweise kritisch hinterfragt, dann hätte sich schnell gezeigt, dass dies kein Weg für das Gros der Milchbauern ist, die in einem globalen Markt wirtschaften und die Bevölkerung, ebenso sicher wie hochwertig, mit Milch und Milchprodukten versorgen sollen.

Kühe mit hoher Milchleistung – die pro Liter Milch deutlich weniger klimawirksame Emissionen verursachen als extensiv gehaltene Tiere – benötigen eine bedarfsgerechte Fütterung. Und das bedeutet: Sie brauchen beispielsweise mehr Eiweiß als im Sommer und Herbst im Gras auf der Weide enthalten ist. Deshalb füttern Landwirte Eiweißfuttermittel zu. Weil sie aber wissen, dass mit dem Import von Sojaschrot aus Südamerika ein einseitiger Nährstofftransfer nach Europa erfolgt, setzen sie zunehmend auf Rapsschrot und zum Teil sogar schon auf Sojabohnen aus heimischer Erzeugung – und damit auf Nährstoffkreisläufe.

Und das ist nur ein Beispiel. Die Haltung von Milchkühen und der Milchmarkt sind viel komplexer, als „Das System Milch“ es darstellt. Natürlich gibt es in diesem System auch Schwachstellen, aber all diese Irrtümer und einseitigen Darstellungen – wie auch der Vorwurf eines kausalen Zusammenhanges von Milch und Nitrat im Grundwasser – lassen sich mit einem kurzen Interview leider nicht korrigieren. Zu sagen hätte ich noch viel!

Dialog MILCH: Wenn Sie von Schwachstellen sprechen, die im System Milch tatsächlich erkennbar sind: Was meinen Sie damit?

Wilhelm Brüggemeier: In Deutschland dominieren vier große Unternehmen 90 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels. Dabei ist eine gegenseitige Kannibalisierung zu beobachten, die auf dem Rücken der Milcherzeuger – wie auch anderer Produzenten – stattfindet. Dieses Ungleichgewicht der Kräfte im Markt generiert den Preisdruck, der schon viele landwirtschaftliche Familienbetriebe ihre Existenz gekostet hat. Es ist diese Konzentration und das daraus resultierende Ungleichgewicht, das in dem „System Milch“ hätte kritisiert werden müssen. Schade um die verpasste Chance!

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