31. Mai 2016

Die Exportorientierung der Milchwirtschaft und die Regulierung der Milchmenge stehen zunehmend im Mittelpunkt der Diskussion um die Milchkrise.

Bedeutet Internationale Ausrichtung wirtschaftliches Wachstum oder heimischen Strukturbruch?

Werden durch Regionalität Preisschwankungen ausgeglichen? Oder bringen Weltmarktpreise eine höhere Rentabilität?

Prof. Dr. Holger Thiele (FH Kiel) nimmt sich dem Thema der Exportorientierung an und beschreibt grundlegendes zum Handel.

Prof. Dr. Hubert Weiger und Jochen Dettmer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) gehen auf die Regulierung der Milchmenge ein.

Prof. Dr. Holger D. Thiele
Grundlegendes zum Handel
Wenn Länder miteinander Handel treiben, dann ist das üblicherweise zum Vorteil für die Gesamtwirtschaft. Je nachdem, ob sich das Land dann in einer Nettoexport- oder Nettoimportsituation befindet, haben die Verbraucher oder die Produzenten mehr Vorteile. Aber: das Land insgesamt profitiert immer. Dieser Zusammenhang besagt aber auch, ein Land verliert immer an gesellschaftlicher Wohlfahrt oder an Bruttosozialprodukt, wenn es sich abschottet. Auf den Agrarsektor der Europäischen Union übertragen bedeutet das: wir gewinnen, wenn wir uns international ausrichten. Diese Zusammenhänge sind auch die Grundlage für die Ausrichtung der GATT und WTO Verhandlungen. Dort ging und geht es um den weltweiten Abbau von Handelsbeschränkungen, um den internationalen Handel zu fördern. Dies bringt den ökonomischen Modellen nach Vorteile für alle. Dies gilt erst einmal unabhängig von sonstigen politischen Sichtweisen und Einschätzungen.
Mehr Weltmarkt = höhere Preise aber höhere Preisschwankungen
Innerhalb der Europäischen Union sind die Wachstumsraten des Konsums von Milch und Milchprodukten gering. Auch zukünftig sind angesichts des bereits sehr hohen Verbrauchsniveaus kaum positive Steigerungsraten zu erwarten. Die Weltweite Nachfrage nach Milchprodukten steigt dagegen durch Bevölkerungswachstum, Einkommenserhöhungen und Umstellung auf westliche Ernährungsgewohnheiten an. Seit 2006 profitieren die europäischen Milcherzeuger in der Mehrzahl der Monate von einem Weltmarktpreisniveau, welches höher liegt als das Mindestpreisniveau der EU (Interventionspreise). Dieser Vorteil der stärkeren Anbindung an das internationale Preisgeschehen hat aber auch seine Schattenseiten: Seit 2007 sind ebenfalls sehr hohe Preisschwankungen zu beobachten, die in 2007, 2011 und 2013 zu extremen Hochpreissituationen und in 2009 und 2015/16 zu extremen Niedrigpreissituationen führten.
Die wissenschaftliche Agrarökonomie sieht teilweise einen hohen Handlungsbedarf der Wertschöpfungskette Milch in der EU im Umgang mit den Niedrigpreissituationen. Häufig wird moniert, dass eine stärkere Ausrichtung auf Preissicherung und Nutzung sonstiger Instrumente des Risikomanagements fehlen. Insbesondere in Krisenphasen ist eine frühzeitige Liquiditätsplanung wichtiger als die längerfristige Rentabilitätsplanung. Ein Instrument von vielen kann dabei die börsliche Preissicherung über Warenterminmärkte sein.

Das Niveau und die Schwankungen des europäischen Milchpreises wird zu mehr als 80 Prozent durch die Preisentwicklungen auf dem Weltmarkt bestimmt

Nachhaltigkeit und Welternährung ist manchmal ein Widerspruch
Klimawandel, Weltbevölkerungswachstum und Welternährungsprobleme beeinflussen die Entwicklung der weltweiten Nachfrage- und Angebotssituation sowie natürlich auch der Weltmarktpreise. Gleichzeitig verändern gesellschaftliche Ansprüche im Bereich Klimaschutz, Naturschutz, Wasserschutz, Tierwohl, Biodiversität und die Ernährungssicherheit die Entwicklung der EU-Landwirtschaft und damit auch die Exportsituation der Zukunft. Agrarpolitisch findet die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele über Maßnahmen wie u.a. die Ausweitung ökologischer Vorrangflächen oder der Novellierung der Düngeverordnung statt. Dadurch steigen jetzt und insbesondere in der Zukunft die Betriebskosten je kg Milch oder je ha landwirtschaftliche Fläche. In der wissenschaftlichen Diskussion ist klar (vgl. Henning et al., Kiel, 2016), dass die höhere Nachhaltigkeit in der EU-Landwirtschaft sowohl Implikationen für die Netto-Milchproduktexporte der EU als auch auf den Weltmarktpreis haben. Eine verstärkte nachhaltige Ausrichtung der Landwirtschaft in der EU führt zu einer Reduktion der EU-Netto-Exporte, z.B. für Milchprodukte. Die reduzierten Milchnettoexporte der EU wiederum führen zu einem Weltmarktpreisanstieg. Trotz dieser Preiseffekte ergeben sich sehr geringe Effekte einer erhöhten EU-Nachhaltigkeit auf die Armuts- und Hungersituation in der Dritten Welt. Dies liegt daran, dass die von der EU produzierten Milchprodukte nur einen relativ kleinen Anteil an dem Milchkonsum armer Haushalte in Entwicklungsländern haben. Aber dennoch sind positive Einkommenseffekte für landwirtschaftliche Haushalte zu erwarten. Berücksichtigt man, dass der überwiegende Teil der armen und unterernährten Haushalte landwirtschaftliche Haushalte sind, so implizieren erhöhte Weltmarktpreise für Milchprodukte eine Einkommensumverteilung von reichen nichtlandwirtschaftlichen zu armen landwirtschaftlichen Haushalten. Diese Umverteilung kann auf nationaler Ebene auch dann zur Armutsreduktion und zur verbesserten Ernährungssituation beitragen, wenn ein Land Nettoimporteur für Milchprodukte ist.
Ähnliche Wirkungen aber mit umgekehrten Vorzeichen haben laut wissenschaftlichen Analysen die Effekte von nachhaltig motivierten Konsumreduzierungen bei Fleisch- und Milchprodukten in der EU. Dies würde zu ansteigenden Nettoexporten u.a. bei Milchprodukten führen und Weltmarktpreisreduzierungen implizieren. Der Konsum dieser tierischen Lebensmittel in Schwellenländern dürfte steigen. Da von einem sehr preiselastischen Verhalten auszugehen ist, dürfte der Konsumausdehnungseffekt in Schwellenländern leicht höher sein als der Konsumverzichteffekt in der EU. Die Preiseffekte führen zu einer Einkommensumverteilung zu Lasten armer landwirtschaftlicher Haushalte in Schwellenländern.
Fazit
Ein vereinfachter und verbesserter Handelsaustausch mit Agrarprodukten weltweit ist nach vorherrschender wissenschaftlicher Meinung gesamtwirtschaftlich grundsätzlich von Vorteil. Dies gilt selbstverständlich auch für die Milchexporte und Milchimporte der EU. Angesichts zukünftig zu erwartender immer stärker nachhaltig ausgerichteter Milchproduktion innerhalb der EU sind zukünftig positive Effekte auf die Welternährung, „quasi als Nebeneffekt“, zu erwarten. Die Nachhaltigkeitsaspekte dürften im Milchexport der Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Also geht es zukünftig darum, dass die Regionen mehr Milch produzieren (und auch exportieren) die komparativen Kostenvorteile der Milchproduktion unter Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten haben. Weltweit gehört die EU-Milcherzeugung zu den Regionen mit einem sehr hohen Kostenvorteil. Gleichzeitig kann dabei eine nachhaltige Exportstrategie unter Berücksichtigung der Subsistenzlandwirtschaft in den Importländern betont werden. In der Folge gibt es – zumindest ökonomisch – keinen Widerspruch zwischen Welternährung, Nachhaltigkeit und Nettomilchexporten der Europäischen Union.

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Prof. Dr. Hubert Weiger/Jochen Dettmer

Milchmenge regulieren

Die Butterberge und Milchseen der 1980er Jahre liegen mittlerweile schon lange hinter uns. Aber wer sich das Jahr 2015 genauer betrachtet, kommt nicht umhin, sich der Frage der Milchüberproduktion erneut kritisch zu stellen. 2015 erlebten die Milchbäuerinnen und Milchbauern bereits die dritte Preiskrise innerhalb von sechs Jahren. Das Angebot war hoch, die Nachfrage geringer als erwartet. 2015 wuchs die globale Milchmenge um 1,3%. Dies hat zu einem dramatischen Milch-Überschuss geführt. Der Ausstieg aus der Milchquote verschärfte diese Situation. Die Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger gerieten unter zusätzlichen Preisdruck, das Höfesterben ging weiter und die Tierhaltung wird fortlaufend in immer größeren Ställen konzentriert. Dies alles wirkt sich negativ auf den Tierschutz und die Umwelt aus. Und 2016 geht die Talfahrt leider weiter: Von einer Erholung am Markt kann nach wie vor keine Rede sein.  Ganz im Gegenteil: In der EU wird für das laufende Jahr eine Mengensteigerung von 0,6-0,8% erwartet.

Ende Dezember erhielten  Milchbäuerinnen und Milchbauern  durchschnittlich ca. 23,4 cent für den Liter Milch. Dieser niedrige Preis wirkt sich auf fast alle Betriebe von Flensburg bis zum Bodensee aus. Etliche Bäuerinnen und Bauern stehen mit dem Rücken an der Wand. Der ohnehin vorhandene „Strukturwandel“ –  das Wegbrechen von Betrieben und bäuerlichen Existenzen – wird durch die schlechten Erzeugerpreise weiter beschleunigt. Seit der Jahrtausendwende hat die Hälfte der Milchviehhalter aufgegeben. Besonders die kleinen Betriebe mit weniger als 50 Milchkühen können diesem Preisdruck nicht standhalten.

Exportausrichtung ist der falsche Weg

Doch Bauernverband und Bundesregierung scheint das wenig zu stören. Sie prophezeiten für die Zeit nach der ungeliebten Milchquote goldene Aussichten für die Milchviehbetriebe und predigten in erster Linie eine auf den Export orientierte Agrarpolitik. Der Ausstieg aus der Milchquote und der Einstieg in den scheinbar unendlichen Wachstumsmarkt wurden von den Weltmarkt-Fetischisten laut bejubelt. Der Kater danach war absehbar und trifft nun die Milchbäuerinnen und Milchbauern. Das Ergebnis: Die Milchmenge steigt, Milchviehbetriebe geben auf und die Erzeugerpreise sind im Keller. Kaum ein Betrieb kann derzeit seine Kosten decken (30-60 Cent/Liter). Bis zu 1.000 Euro Verlust pro Kuh kann das ausmachen. Doch die Agrarpolitik ändert sich (bisher) nicht. Stattdessen wird weiterhin prognostiziert, dass längerfristig gute Zukunftsaussichten am Milchmarkt bestünden.

Die Preise richten sich leider nicht an den realen Kosten im Betrieb aus, sondern an den globalen Bedingungen des Weltmarktes. Extreme Schwankungen sind die Folge. Das Sicherheitsnetz im EU-Milchmarkt reicht nicht aus, um im Krisenfall den Milchmarkt zu stabilisieren. Sehr geringe Erzeugerpreise können weder vermieden noch schnell abgemildert werden. Doch es gäbe Alternativen. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) hat frühzeitig seine Vorstellungen zur Regulierung der Milchmenge zur Diskussion gestellt. Dabei handelt sich nicht um eine „Milchquote 2.0“ und auch nicht um absolut stabile Milchpreise, sondern um einen anderen, aus Sicht des BUND erfolgversprechenden Ansatz. Zentraler Baustein des „Milchmarkt-Krisenmanagement-Konzept“ ist ein „Marktverantwortungsprogramm“. Dieses beinhaltet ein dreistufiges Frühwarnsystem. Dabei handelt es sich um keine generelle Steuerung,  wie es die uneffektive Milchquote war,  sondern um ein optionales Maßnahmebündel, eine Marktbeobachtung und Monitoringstelle. Auf allen drei Stufen des Frühwarnsystems gibt es unterschiedliche Formen der Milchmengenregulierung, bspw. durch die private Lagerhaltung oder reduzierte Milchproduktion bis zur staatlichen Intervention. Damit möchte der BDM im Krisenfall die Milcherzeugerpreise wieder in den Griff bekommen.

 

Existenzen werden zerstört

 

Aus Sicht des BUND brauchen die Bäuerinnen und Bauern dringend eine Steuerung am Milchmarkt, die sich an den realen, regionalen Bedarfen und nicht an den Exportstrategien der Großmolkereien ausrichtet. Der Selbstversorgungsgrad Deutschlands beträgt bei Milch und Käse ca. 120%. Während die Konzerne  ihren Weltmarktanteil ausbauen, müssen Landwirtinnen und Landwirte draufzahlen. Höfe werden in den Ruin getrieben,  Existenzen zerstört. Das ist inakzeptabel.

 

Was der Milchmarkt braucht, ist eine Milchmengenregulierung. Der BDM hat seinen Vorschlag unterbreitet – weitere sind willkommen. Doch die Zeit drängt: Schnellstmöglich muss sich auf ein flexibles System zur Steuerung der Milchmenge geeinigt werden. Dieses sollte sich nach Ansicht des BUND am realen Bedarf der EU und nicht an den Wachstums- und Exportphantasien der Ernährungsindustrie orientieren. Das eifrige Schlagen der Werbetrommel für Agrarexporte muss endlich beendet werden.

Tierwohl nicht gefährden

Auch das Wohl der Tiere droht durch diese Agrarpolitik unter die Räder zu kommen. Die vollständige Industrialisierung der Milchviehhaltung wäre die Konsequenz, wenn ruinöse Preiskampf weitergeht. Der Leistungsdruck auf Mensch und Tier nimmt weiter zu. Ein Großteil der Tiere wird bereits auf Hochleistung gezüchtet und anstatt mit regionalen Futtermitteln wie  Gras oder Heu  mit Mais und importierter Soja – oftmals Gentech-Soja  – gefüttert. Die Mais- und Sojaproduktion ist ebenfalls mit enormen Umweltschäden verbunden. Böden werden ausgelaugt, die Agrobiodiversität nimmt ab, Pestizide vergiften die Gewässer. Der Grünlandverlust in Deutschland steht in einem engen Zusammenhang mit der Ausweitung der Mais-Monokulturen, die einerseits durch den Futtermittelbedarf und andererseits durch die Biogasanlagen verursacht werden. 458.900 Hektar waren 2015 mit Mais bestellt. Die über Jahrhunderte von Wiesen und Weiden geprägten Kulturlandschaften verlieren ihre  charaktergebende Nutzungsform und damit Wertschöpfung, Artenvielfalt, Lebensqualität und Attraktivität, auch für den Tourismus.

Wir begrüßen es, wenn die Bundesländer im Rahmen ihrer ELER-Programme die Weidehaltung fördern.  Dabei sehen wir aber auch den Bund in der Pflicht. Durch ein Unterstützungsprogramm für grünlandgebundene Milchviehhaltung könnte die Bundesregierung ihren Beitrag dazu leisten, insbesondere kleinen und mittleren Milchvierhalterinnen und Milchviehhaltern unter die Arme zu greifen. Die Opposition im Bundestag hat dies bereits beantragt,  der gemeinsame Antrag von Grünen und Linken wurde jedoch abgelehnt.

 

Klare Kennzeichnung

Um die Bauernhöfe zu unterstützen, die durch ihre Weidehaltung wertvolle und artenreiche Kulturlandschaften erhalten, fordert der BUND eine klare und deutliche Kennzeichnung der Milchprodukte. Es kann nicht sein, dass eine weidende Kuh auf einer Milchpackung abgebildet wird, wenn das Tier niemals auf einer Weide stand. Das ist Verbrauchertäuschung! Eine solche Kennzeichnung würde erheblich zur Stärkung der bäuerlichen und ökologischen Tierhaltung in Deutschland beitragen. Darüber hinaus muss erkenntlich sein, wenn Gentech-Futter im Trog war. Das könnte dazu beitragen, wieder vermehrt auf regionale Futtermittel zu setzen oder gentechnikfrei gekennzeichnete Sojaimporte zu verfüttern.

Neben der Kennzeichnungsfrage, die in Berlin und Brüssel entschieden wird, ist der Handel in der Pflicht, seinen Beitrag zu fairen Erzeugerpreisen zu leisten. Selbst ohne die Einführung des oben beschriebenen Mengenregulierungssystems hätten ALDI und Co. es in der Hand, zusammen mit den Großmolkereien für faire Preise zu sorgen. Darüber hinaus sollte der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die durchschnittlichen Erzeugerkosten als nicht zu unterschreitender Mindestpreis festgelegt werden. Dabei geht es nicht um unangemessene Phantasielöhne, sondern um Respekt denjenigen gegenüber, die wertvolle und regionale Lebensmittel produzieren.