Nachdem ein vorhergehender Beitrag eine Einführung in Tierwohl, Tiergerechtheit und Precision Livestock Farming geliefert hat, betrachtet dieser Beitrag ausgewählte Beispiele des Smart Livestock Farming sowie deren Zusammenspiel auf dem landwirtschaftlichen Betrieb und darüber hinaus. Da gibt es beispielsweise den
Transponder:
Am Halsband jeder Kuh befestigt fungiert er wie ein elektrisches Nummernschild: Jede einzelne Kuh ist damit zweifelsfrei identifizierbar. Das wird beispielsweise genutzt, um einer Kuh ihre individuell bedarfsgerechte Menge an Kraftfutter an einem
Kraftfutterautomaten
zuzuteilen. Kraftfutter gibt es nämlich nicht „ad libitum“ – das heißt, so viel, wie die Kuh will –, sondern nur die für jedes Einzeltier berechnete optimale Ration. Eine solche Kraftfutterzuteilung kommt nicht von ungefähr; sie erfolgt u. a. auf Basis der exakt erfassten und ausgewerteten, von einer Kuh gegebenen Milchmenge in einem Melkstand oder an einem vollautomatischen
Transponder am Halsband der Kuh dienen als „digitales Nummernschild“. Damit ist das Einzeltier immer zweifelsfrei identifizierbar – in Melkstand und Melkroboter, am Kraftfutterautomaten oder auch bei der automatisierten Selektion von Einzeltieren aus der Gruppe. (Foto: DIALOG MILCH)
Melkroboter
Egal ob moderner Melkstand oder Melkroboter – die Kuh wird hier nicht nur mittels des Transponders erkannt. Systeme wie IMA, der Inline Milk Analyser, der von einem Melktechnik-Hersteller angeboten wird, erfasst die jeweils von einer Kuh gegebene Milchmenge und zusätzlich verschiedene Qualitätsparameter. Die bei jedem Melkvorgang gewonnenen Daten fließen unmittelbar in die digitale Dokumentation des Betriebs ein. Übrigens noch ein Wort zum Melkroboter: Der lohnt sich zwar erst ab einer gewissen Herdengröße, bringt aber enorme Vorteile für Tier und Mensch. Dazu gehören für die Kuh, dass es keine starren Melkzeiten mehr gibt. Die Tiere gehen dann zum Roboter, wenn sie gemolken werden wollen – und das ist durchschnittlich etwa 3,6-mal pro Tag der Fall. Für den Menschen bedeutet der Melkroboter, dass die schwere körperliche Arbeit, die zuvor zweimal täglich angefallen ist, nun automatisch erledigt wird. Das macht den Kopf frei und schafft Zeit, um die Herde digital und persönlich sehr genau im Auge zu behalten. Die automatisch erfassten, dokumentierten und ausgewerteten Daten zu Milchmenge und Milchqualität fließt direkt in das
Herdenmanagementsystem
des Betriebs ein. Bei der IMA-Milchanalyse werden beispielsweise bei jedem einzelnen Melkvorgang in Echtzeit Werte für den Fett-, Eiweiß- und Laktosegehalt sowie die Zellzahlen ermittelt und dokumentiert. Das erlaubt – viel früher als selbst ein erfahrener Melker das früher hätte sehen können – Abweichungen von den „normalen“ Werten zu erkennen. So fallen beispielsweise Stoffwechselstörungen wie Ketose oder Erkrankungen wie Mastitis (Euterentzündung) bereits in einem sehr frühen Stadium auf und können behandelt werden. In dieses Herdenmanagementsystem fließen übrigens auf modern ausgestatteten Betrieben auch die Daten von
Die mit dem Pedometer gemessenen Aktivitäts- und Ruhezeiten geben im Zusammenspiel mit den anderen erhobenen Daten wichtige Hinweise auf das Wohlbefinden einer Kuh. (Foto: LfL Bayern)
Pedometern mit ein. Diese kleinen Messgeräte sind mit einem elastischen Halteband an einem Fuß jeder Kuh angebracht und zeichnen Daten zu den individuellen Liege-, Ruhe- und Aktivitätszeiten auf. Diese Daten fließen ebenfalls in das Herdenmanagementsystem ein und auch hier gilt, dass deren automatische Erfassung, Dokumentation und Auswertung sehr schnell am Computerbildschirm erkennen lässt, ob bei einem Tier die Werte von dem bisher Üblichen abweichen. Der genaue Blick auf den Computer ist damit eine wertvolle Ergänzung zu den meist mehrfach täglich erfolgenden Stallrundgängen und bringt beispielsweise den Landwirt Basti Bützler dazu, moderne Milchkuhhaltung mit „weniger Körper, mehr Kopf“ zu beschreiben.
Die automatisierten Tierbeobachtung
hat mit der Erfassung und Auswertung der Daten besonders die Tiergesundheit im Blick. Das geht soweit, dass Daten der Landeskontrollverbände, die die an Molkereien abgelieferte Milch auf eine Reihe von Qualitätsparametern untersuchen, an die Betriebe zurückgespiegelt und in das Herdenmanagementsystem mit eingespeist werden können. Die permanente, intensive Tierbeobachtung gibt aber auch ganz wichtige Hinweise zur
Brunsterkennung
Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, eine Kuh wieder zu besamen? Auch das zeigt die Auswertung der Daten im Herdenmanagementsystem; entsprechend kann dann etwa die Abkalbung oder ein Besuch des Tierarztes geplant werden. Mit der zeitgerechten Besamung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kuh gleich beim ersten Mal wieder trächtig wird. Der ebenfalls in dem System implementierte Abkalbealarm informiert den Tierhalter über anstehende Kalbungen – bei denen ggf. auch einmal Assistenz durch den Landwirt oder den Tierarzt erforderlich sein kann. In den
Herdenmanagementsystemen
ist zum Teil sogar schon ein Wohlbefindensindex für einzelne Tiergruppen implementiert, der zum Beispiel automatisch Alarm bei zu hohen Tierzahlen in einer Gruppe, bei Problemen bei der Einstreuqualität oder bei Einschränkungen des Tierwohls gibt. Digitalisierung bedeutet übrigens in diesem Zusammenhang auch, dass Tierhalter diese Daten nicht nur am PC in ihrem Büro sehen, sondern gleichermaßen auch unterwegs über ein Tablet oder Smartphone den aktuellen Stand zu allen relevanten Informationen abrufen können.
Fazit: Hightech im Stall sorgt für mehr Wohl von Tier, Mensch und Umwelt
Abweichungen von den normalen Werten werden bei den modernen Systemen „auf einen Blick“ erkennbar. (Foto: DIALOG MILCH)
Bedarfsgerecht gefüttert zu werden und dabei einem permanenten Gesundheitsmonitoring zu unterliegen, wirkt sich deutlich positiv auf die Tiergesundheit aus. Dabei sorgt die Bauweise moderner Milchkuhställe, etwa als Boxenlaufstall mit breiten Boxen und viel Platz, dafür, dass die Tiere ihrem Bewegungsdrang nachkommen und dabei Rangkämpfen aus dem Weg gehen können. Der Verzicht auf die frühere Anbindehaltung, das tiergerechte „Melken nach Bedarf“ mit dem Melkroboter und das heute mögliche Gesundheitsmanagement sorgen so für mehr Tierwohl im Stall. So beschreibt auch ein Tierarzt das Thema Tierwohl in der heutigen Milchkuhhaltung.
Die Vorteile für den Menschen sind ebenfalls gravierend: Enorme Arbeitserleichterung durch automatische Erfassung, Auswertung und Dokumentation, Verknüpfung von verschiedensten Parametern mit einer sehr wirksamen Frühwarnfunktion und die Möglichkeit, auch größere Herden besser und tiergerechter betreuen zu können als jemals zuvor. Das kommt der Gesundheit der Tierhalter, der Qualitätssicherung, der Rückverfolgbarkeit und Transparenz und natürlich auch der Wirtschaftlichkeit der Betriebe zugute.
Sehr deutlich profitiert auch die Umwelt: In dem Maß, in dem Futtermittel bedarfsgerecht und damit effizient eingesetzt und die Tiere gesund erhalten werden, lässt sich eine höhere Effizienz der eingesetzten Nährstoffe, der Gebäude und der Technik erreichen. Das hilft, die Emissionen etwa pro Liter erzeugter Milch und zugleich den Einsatz von Tierarzneimitteln zu vermindern.
Tierwohlkennzeichnung:
„Das BMEL will Deutschland zum Vorreiter beim Tierwohl machen. Dazu werden diejenigen unterstützt, die in der Nutztierhaltung mehr für das Tierwohl tun. Das Tierwohlkennzeichen ist eine Auszeichnung für Produkte, die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus für mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung stehen. Das Kennzeichen macht diesen Unterschied für Verbraucher klar erkennbar. Unser Vorbild ist das vom BMEL im Jahre 2001 eingeführte und etablierte Biosiegel, das nach dem gleichen Prinzip funktioniert und eines der bekanntesten Label auf dem Lebensmittelmarkt ist.“
Das geplante Tierwohlkennzeichen des BMEL, das bislang vom Bundeskabinett beschlossen und bei der EU notifiziert wurde, ist noch nicht auf den Verpackungen im Handel angekommen. Andere Ansätze, mehr Tierwohl zu erreichen und dies für die Verbraucher auch nachvollziehbar zu machen, sind bereits weiter. Einen Überblick zu den unterschiedlichen Kennzeichnungen und Labels gibt es hier.
Es geht noch besser …
Viele Forschungsarbeiten beschäftigen sich weltweit mit der Tierhaltung, mit ihren Umweltwirkungen und speziell auch mit den Auswirkungen von Technologien und Maßnahmen auf die Tiere selbst. Beispiele sind etwa veränderte Fütterungsstrategien in der Rinderhaltung, um die Methanemissionen, die bislang unvermeidlich mit der Erzeugung von Rindfleisch und Milch verbunden sind, zu reduzieren (siehe auch „Kühe, Methan und Klima“). Gleiches gilt bei der Betrachtung des gesamten Produktionssystems im Hinblick auf das Ziel, den CO2-Fußabdruck der Milch weiter zu verringern. Ein solches Vorhaben setzt bei der Lebens- und Nutzungsdauer der einzelnen Kuh an, schließt die tägliche Milchmenge mit ein, umfasst die Futterverwertung und Verdauung und natürlich auch das gesamte Umfeld auf der Weide, im Stall und beim Melken.
Zum Melken am Roboter kommen die Kühe nach ihrem individuellen Bedarf – und das heißt durchschnittlich 3,6 mal pro Tag. (Foto: DIALOG MILCH)
Weitere Ansätze beschäftigen sich u. a. mit Fragen rund um Stallbau und Tiergesundheit, mit dem Monitoring und der damit möglichen Optimierung der Futteraufnahme in extensiven Weidesystemen oder auch mit der Optimierung der Arbeitseffizienz in Stall und Melkstand bzw. am Melkroboter. Eine ganz wesentliche Aufgabe besteht zunehmend darin, aus der stetig wachsenden Menge an Rohdaten, die von Pedometern, bei der Inline Milch Analyse oder beim Herdenmanagement insgesamt anfallen, die wesentlichen, einfach nutzbaren Managementinformationen herauszufiltern. Dabei werden auch Ansätze wie das maschinelle Lernen etwa zur Optimierung der Düngung mit Gülle und Stallmist untersucht, um die Technik selbst über Algorithmen „schlauer“, d. h. effizienter, genauer und damit umweltschonender zu machen.
Die Verbesserungen, die in den vergangenen Jahrzehnten erzielt werden konnten, sind enorm. Dennoch bedeutet das nicht, dass alles schon perfekt und flächendeckend umgesetzt wird. Neben dem z. T. hohen, für manche Betriebe (derzeit) nicht zu stemmenden Investitionsbedarf oder baulichen Beschränkungen, die eine Aufrüstung auf modernere Technik nicht zulassen, gibt es – wie überall – auch schwarze Schafe. Das sind diejenigen, die – mit oder ohne moderne Technik – ihren Tieren nicht die notwendige Achtung, Sorgfalt und Betreuung zukommen lassen. Das darf aber kein Grund sein, den auf vielen Betriebe bereits erreichten Standard und den dabei wirksamen Beitrag von Precision Livestock Farming bzw. Smart Livestock Farming zu ignorieren.
Alle Infos zu den Tieren – etwa zu den Melkvorgängen – sind auch von unterwegs direkt auf PC, Tablet oder Smartphone abrufbar. (Foto: Lemmer-Fullwood)
„Mehr Kopf, weniger Körper“ kennzeichnet die moderne Milchkuhhaltung laut Milchkuhhalter Basti Bützler aus der Nordeifel. (Foto: DIALOG MILCH)
Einen weiteren Artikel zu diesem Thema finden Sie hier: