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Haltungsformen 1 bis 4 - Wer zahlt für mehr Tierwohl? Junglandwirt Andreas Stöcker hat investiert

Mehr Tierwohl ist gewünscht - von Verbrauchern und Landwirten -

doch wer zahlt die notwendigen Investitionen?

Zunehmend finden sich auf Fleisch- und Milchverpackungen im Supermarkt auch Informationen dazu, wie die Tiere auf den Betrieben gehalten werden . Das ist gut, denn das erlaubt den Verbrauchern eine bewusste Wahl. Besser wäre es, wenn Handel und Konsumenten klar wäre, was der Um- oder Neubau eines Stalls den Landwirt kostet. Und noch besser wäre es, wenn alle den erforderlichen finanziellen Beitrag dazu leisten würden.

Junglandwirt Andreas Stöcker bei seinen Kühen

Jeder verantwortungsbewusste Tierhalter hat die Gesundheit und das Wohlergehen seiner Tiere permanent im Blick. Bei Stallum- oder Neubauten wird deshalb auch in Platz, Licht und Luft und damit in mehr Tierwohl investiert. Der Blick in landwirtschaft-liche Fachmedien zeigt die Größenordnung, mit der etwa Milchkuhbetriebe rechnen müssen, die in einen neuen, tiergerechteren Stall investieren wollen. „Wenn ich die Kosten für einen neuen Stall kalkuliere, stehen schnell Summen von bis zu 15.000 oder 16.000 Euro pro Tierplatz im Raum. Das gilt insbesondere dann, wenn neben dem Stall auch Silo-, Gülle- und Melktechnik erneuert werden müssen“, berichtet etwa Junglandwirt Andreas Stöcker vom Hof Sonnenborn in Engelskirchen, NRW. Schon bei einer Herde von 50 Milchkühen kommt so schnell mehr als eine Dreiviertelmillion Euro zusammen.


Junglandwirt Andreas Stöcker hat jetzt trotz hoher Kosten in mehr Platz für seine Kühe investiert.


Die Haltungsformen im Überblick

Um dem Verbraucher transparent auf der Verpackung zu zeigen, wie die Tiere gehal-ten werden, haben sich verschiedene Akteure der Wertschöpfungskette zusammen-geschlossen und ein System von vier Haltungsform-Stufen(1) entwickelt (mehr Infos). Ein Blick auf die derzeit geltenden vier Haltungsform-Stufen zeigt, warum es in den meisten Fällen nicht mit einem Stallumbau getan ist, sondern ein Stallneubau notwendig ist, wenn ein größerer Schritt zu mehr Tierwohl erfolgen soll.

  • Haltungsform 1 „Stallhaltung“ ist der gesetzliche Mindeststandard, bei dem die Tiere üblicherweise ganzjährig im Stall und zum Teil auch angebunden gehalten werden.
  • Bei der Haltungsform 2 „Stallhaltung Plus“ haben die Tiere mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben. Sie müssen sich in einem Laufstall oder – bei Anbindehaltung – auf einem Laufhof oder auf der Weide frei bewegen können. Zeitweise können sie aber auch noch angebunden sein. In dem Stall muss den Tieren eine Scheuerbürste zur Verfügung stehen.
  • Die Haltungsstufe 3 „Außenklima“ bedeutet einen großen Schritt weg von Stufe 1 oder 2: Die Kühe müssen über eine nach außen offene Stallseite oder einen ganzjährig nutzbaren Laufhof oder alternativ über mindestens 120 Tage Weidegang im Jahr Kontakt zum Außenklima haben. Der Stall muss mehr Platz pro Tier bieten, die Anbin-dehaltung ist vollständig verboten und Futter ohne gentechnische Bestandteile ist Pflicht.
  • Bei der Haltungsstufe 4 „Premium“ müssen die Kühe ständig Auslauf im Freien ha-ben, und zwar über einen ganzjährig nutzbaren Laufhof und über Weidegang an min-destens 120 Tagen im Jahr. Neben dem auch hier größeren Platzangebot und dem gentechnikfreien Futter gilt ebenfalls, dass das Futter überwiegend aus dem eigenen Betrieb oder der Region stammen muss.
  • In 2024 wird das bislang vierstufige System um eine fünfte Stufe ergänzt. Dazu wird die bislang vierte Stufe aufgeteilt: Konventionelle Tierwohl-Programme werden weiterhin in die vierte Stufe eingeordnet, während für Bio-Programme die se-parate fünfte Stufe eingeführt wird. Diese Änderungen sollen im Sommer 2024 in Kraft treten.

Mehr Platz pro Tier heißt meist Neubau

Wer heute in einen neuen Stall investiert, der tut dies in aller Regel, um mindestens die Anforderungen der Stufe 3 oder 4 zu erfüllen, da diese zunehmend vom Handel gefordert werden. Allerdings erlaubt es die jeweilige Lage von Gebäuden oder Flächen nicht bei allen Betrieben, dann auch Weidegang anzubieten. Für diese Betriebe kommt also nur ein „Upgrade“ auf Haltungsstufe 3 infrage.

Dazu Junglandwirt Andreas Stöcker: „Noch lange vor dem ersten Spatenstich für den Neubau geht es aber erst einmal richtig ‚ans Eingemachte‘: Im Zuge der Prüfung des Bauantrags kommt nämlich der gesamte Betrieb auf den behördlichen Prüfstand. Bauwillige Landwirte müssen zunächst nachweisen, dass die vorhandene Siloanlage für das Futter und die bestehende Gülleanlage für die Lagerung des Wirtschaftsdüngers auch nach dem Neubau – ggf. mit mehr Tieren – allen gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Sollten sowohl Silo- als auch Gülleanlage alle aktuellen Auflagen erfüllen, kann der Stallneubau mit rund 6500,- Euro pro Kuhplatz gelingen. Das gilt aber nur, wenn nicht auch neue Melktechnik benötigt wird. Selbst ganz ohne neue Melktechnik verteuern aber allein die behördlichen Auflagen für Futter- und Güllelager viele Stallneubauten ganz erheblich.“

Baukosten sind deutlich gestiegen

Was seit geraumer Zeit die privaten Häuslebauer spüren, macht natürlich auch für landwirtschaftliche Betriebe den Entschluss zu bauen schwerer: Die Kosten für Neu-bauten sind förmlich explodiert. Angesichts der behördlichen Auflagen und der Bau-kosten stehen mancher Landwirt und manche Landwirtin vor der Frage, ob sich die Investition in einen neuen Stall, in mehr Tierwohl, überhaupt wirtschaftlich für den Fortbestand des Betriebes rechnet.

Wenn die Mehrkosten langfristig nicht gedeckt werden können, ist die Alternative, die Tierhaltung aufzugeben. Und das ist eine für jeden Tierhalter sehr schmerzhafte Entscheidung, wie Landwirt Markus Theunissen (hier auf YouTube) und in die langjährige MyKuhTuberin Katrin berichten können. Mit den Kühen, die dann gehen, entfällt zudem die Nutzung und damit die Pflege des Dauergrünlands, auf dem – als Mähwiese oder Weide – die Futtergrundlage der Kühe wächst.


„Für mich bleibt eigentlich nur ein Fazit“, so Andreas Stöcker abschließend: „Wenn Politik und Gesellschaft moderne Ställe mit Tierwohl möchten, dann muss dies – über den Produktpreis im Supermarkt und/oder durch entsprechende finanzielle Förderung – auch ausreichend honoriert werden. Denn nur so haben wir Landwirte die notwendige Planungssicherheit für die hohen und langfristigen Investitionen für mehr Tierwohl. Der Wille dazu ist da.“


Andreas Stöcker aus Engelskirchen


 (1) Neben der hier betrachteten Kennzeichnung der Haltungsform gibt es eine Reihe weiterer Labels wie beispielsweise QM+ und QM++ oder Pro Weideland.