Tierhaltung

Stichwort „Massentierhaltung“

Stichwort „Massentierhaltung“: was Betriebsgröße und Zahl der Kühe mit Tierwohl zu tun haben

Ach, früher war alles besser. Kleine Bauernhöfe, eine bunte Mischung von ein paar Kühen, ein paar Schweinen, vielleicht noch Schafen und Hühnern – und fertig ist das Idyll, das viele Menschen mit der Landwirtschaft verbinden. Dass dazu aber zumindest über Winter auch die Anbindehaltung für Kühe in meist dunklen und stickigen Ställen gehörte und die Arbeit der Bauern unter diesen Bedingungen alles andere romantisch war, weiß kaum noch jemand.

Wie sieht es in der Landwirtschaft von heute aus? Es gibt kleinere und größere Höfe, darunter den Familienbetrieb mit 60 genauso wie den Familienbetrieb mit 200 Kühen. DIALOG MILCH hat 2019 zwei unterschiedlich große Betriebe in Nordrhein-Westfalen besucht und mit beiden Betriebsleitern gesprochen. Sie haben gerne ihre Hoftore geöffnet und gezeigt, wie sie versuchen, Tierwohl zu gewährleisten.

 

„Geht es Ihren Tieren gut?“

Mit zwei Milchviehhaltern im Gespräch:

„Aber sicher“, sagt David Höller, der mit seinem Vater einen Milchviehbetrieb in der Nähe von Lindlar im Bergischen Land bewirtschaftet. Ein klares „Ja“ kommt auch von Basti Bützler, dessen Milchviehbetrieb in der Nähe von Bad Münstereifel liegt.


Zwei Milchviehhalter aus Leidenschaft: David Höller (links) und Basti Bützler (rechts).

DIALOG MILCH: Das Betriebsmodell – Familienbetrieb mit Milchkühen – ist bei Ihnen beiden gleich. Dennoch sind die Betriebe recht unterschiedlich. Herr Bützler, Herr Höller, wie würden Sie Ihre Betriebe beschreiben?

Bützler: „Der Betrieb, den ich seit 2005 mit meinem Vater als GbR führe, liegt in der Nähe von Bad Münstereifel. Wir bewirtschaften 200 Hektar Grünland, bauen auf rund 20 Hektar Mais an und halten 200 Milchkühe sowie 200 Stück Nachzucht. Die vorwiegend schwarzbunten Kühe bringen mit 11.300 kg Milch pro Tier und Jahr, mit 4 Prozent Fett und 3,44 Prozent Eiweiß, sehr hohe Leistungen. Wir haben aktuell einige ‚100.000-Liter-Kühe‘ im Betrieb und auch viele ältere Kühe. Das sieht man an den überdurchschnittlichen Lebensleistungen von 33.000 kg Milch.“

Höller: „Mein Vater und ich bewirtschaften unseren in der Nähe von Lindlar gelegenen Betrieb seit 2010 gemeinsam in Form einer GbR. Wir nutzen 55 Hektar Grünland für die Beweidung sowie für die Erzeugung von Grassilage und Heu. Auf 5,5 Hektar Ackerland bauen wir Mais an, der als Maissilage verfüttert wird. Aktuell melken wir rund 60 Milchkühe und halten zusätzlich 55 weibliche Tiere als Nachzucht. Die Leistung unserer Tiere lag 2018 durchschnittlich bei 9.121 kg Milch pro Jahr mit 3,91 Prozent Fett und 3,35 Prozent Eiweiß. Unser Champion, die Kuh Janetta, hatte bei insgesamt zehn Kälbern eine Lebensleistung von über 100.000 Litern. Aktuell haben wir mehrere Kühe in unserer Herde, die bislang bereits mehr als 70.000 oder 75.000 Liter Milch gegeben haben.“

DIALOG MILCH: Welche Rolle spielt Tierwohl für Sie?


Der hochwertige eigene Mais wird bei Familie Höller mit einer Auflage von Apfeltrester im Fahrsilo eingelagert und im Winter zusammen mit anderen Futterkomponenten an die Tiere verfüttert.

Höller: „Unsere Tiere können nur gute Leistungen bringen, wenn es ihnen wirklich gut geht. Deshalb spielen Tiergesundheit und Tierwohl für uns eine große Rolle. Wir achten beispielsweise auf sehr hohe Qualität bei dem Grundfutter, also Grassilage, Maissilage und Heu, das wir auf unserem Betrieb erzeugen. Wir stellen die tägliche Ration mit entsprechenden Ergänzungen wie Kraft-, Mineral- und Eiweißfutter – meist auf Basis von Getreide – so zusammen, dass der Bedarf der Tiere optimal gedeckt wird. Wir erreichen allein schon durch das fünfmalige Mähen des Grünlands pro Jahr eine sehr hohe Grundfutterqualität und füttern zusammen mit der Maissilage auch Apfeltrester (Anm. d. Red.: Pressrückstände bei der Herstellung von Apfelsaft), ein für die Kühe sehr schmackhaftes und vitaminreiches Futter, das unsere Ration sehr gut ergänzt.“

Bützler: „Die Futtergrundlage ist bei uns recht ähnlich. Auch wir achten peinlich genau darauf, die Tiere bestmöglich zu halten und optimal zu versorgen. Mit einer möglichst hohen Grundfutterqualität versuchen auch wir, den Bedarf unserer Tiere bereits mit dem Grundfutter soweit wie möglich zu decken. Bei dem zugekauften Rapsgemisch achten wir beispielsweise auch darauf, dass diese Futterkomponente auf jeden Fall gentechnikfrei ist.“


Mit der 2018 neu gebauten Fahrsilo-Anlage gelingt es Landwirt Bützler jetzt noch besser, qualitativ sehr hochwertiges Futter vorzuhalten und Futterverluste im Lager zu vermeiden.

DIALOG MILCH: Welche Rolle spielt die Gestaltung des Stalls für das Tierwohl auf Ihren Betrieben?


Familie Bützler hat bei dem Bau des Boxenlaufstalls auf Außenklima gesetzt

Bützler: „Wir haben im Jahr 2010 in einen neuen und top modernen Außenklima Boxenlaufstall investiert. Er bietet geräumige, gut eingestreute Liegeboxen sowie breite Laufgänge ohne Sackgassen und erlaubt es den Tieren so, Rangkämpfen aus dem Weg zu gehen. Das vermeidet trotz der sehr großen Bewegungsfreiheit der Tiere Unruhe und Stress im Stall. Auch die rotierenden Kuhbürsten sind bei den Tieren außerordentlich beliebt und werden häufig aufgesucht.

 

Höller: „Ein solcher Schritt steht auch bei uns in diesem Jahr noch an. Der jetzige Boxenlaufstall wurde 1968 von meinem Großvater bei der Aussiedlung aus der Innenortslage neu gebaut. Diesen Stall mit seinen tief eingestreuten Liegeboxen und dem Laufgang wollen wir ab Spätherbst 2018 nur noch für die Nachzucht nutzen, die derzeit noch auf einem anderen Betrieb untergebracht ist.


alter Stall


neuer Stall

Mit dem geplanten, noch stärker an den Anforderungen von Tierwohl ausgerichteten neuen Boxenlaufstall, der ebenfalls als Außenklimastall konzipiert ist und hoffentlich im Herbst fertig wird, können wir unseren Tieren dann noch mehr Platz zur Verfügung stellen und so auch durch Sackgassen bedingte Rangkämpfe und Stress im Stall weitgehend vermeiden.“

DIALOG MILCH: Wie sieht es auf Ihren Betrieben mit Weidegang aus?

Bützler: „Wir melken seit dem Stallneubau mit Melkrobotern. Hier hat es sich bewährt, die Kühe in der Laktationsperiode, also in der Zeit, in der sie Milch geben, komplett in dem Boxenlaufstall zu lassen. Dieser Stall bietet aber aufgrund der baulichen Gegebenheiten sehr viel Platz und Bewegungsmöglichkeiten und die Tiere können nach Bedarf zum Melken an den Melkroboter gehen. Die Kühe werden in den letzten 6–10 Wochen vor der erneuten Kalbung nicht mehr gemolken. Diese sogenannten Trockensteher kommen von Frühjahr bis Herbst bei uns immer auf die Weide.“


Weidegang im Sommer und ein befestigter Auslauf im Winter gehören auf dem Betrieb Höller dazu

Höller: „Das ist bei uns etwas anders. Wir nehmen an dem Landliebe-Programm von FrieslandCampina teil, und da gehören Weidegang für die Kühe von Frühjahr bis Sommer sowie gentechnikfreie Futtermittel ausschließlich aus europäischer Herkunft als Teilnahmevoraussetzungen dazu. Da etliche unserer Flächen direkt um den Hof herum liegen, ist das auch kein Problem. Selbst im Winter können unsere Kühe einen planbefestigen Platz vor dem Stall als Auslauf nutzen – und das tun sie oft und gerne.“

DIALOG MILCH: Digitalisierte Tierhaltung mit Computersystemen für das Herdenmanagement, Einzeltierkontrolle beim Melken und sogar automatischer Analyse der frisch gemolkenen Milch waren ja bei der letztjährigen Eurotier in Hannover, der wichtigsten Fachmesse für Tierhaltung weltweit, in aller Munde. Wie halten Sie es damit?

Höller: „Wir beide haben uns dazu schon ausgetauscht. Es scheint, dass wir auf unseren Betrieben in dieser Frage eine etwas unterschiedliche Philosophie verfolgen, die aber auf einer wesentlichen gemeinsamen Grundlage beruht: Es geht nichts ohne „das Auge des Herrn“ – das heißt, täglich mehrfache Stallkontrolle gehört auf dem Betrieb Bützler wie auf unserem Betrieb unbedingt dazu. Ich selbst bin aber nicht der Computerfreak. Deshalb haben wir bislang keinen Melkroboter und kein digitales Herdenmanagement. Auch nach dem Stallneubau werden wir unseren bisherigen Doppelfünfer Fischgrätenmelkstand, in dem auf jeder Seite immer fünf Tiere parallel gemolken werden, vorerst weiter nutzen. Mit den Melk- und Fütterungszeiten sind wir jeden Tag mindestens fünf- oder sechsmal im Stall und haben unsere Tiere so stets genau im Blick. Zusätzlich nutzen wir einen bereits über 50 Jahre alten, aber sehr bewährten Brunstkalender, um etwa die Besamungstermine der Tiere im Blick zu halten.“

Bützler: „Ich bin Technik-Fan und begeistert von den Möglichkeiten, die mir das digitale Herdenmanagement, unsere drei Melkroboter und die Erfassung der Aktivität jedes einzelnen Tiers, seiner Milchmenge und wichtiger Qualitätsparameter bieten. Täglich verbringe ich ein bis zwei Stunden am PC, gebe Daten ein, werte Daten aus und schaue nach Auffälligkeiten, um im Einzelfall sofort agieren zu können. Allerdings gilt auch bei uns, was David Höller eben schon angesprochen hat: Mindestens drei- bis viermal täglich bin auch ich zusätzlich im Stall und schaue nach den Tieren – und das samstags und sonntags genauso wie an Feiertagen. Immer gilt: erst die Tiere, dann der Mensch.“


„Wellnessbereich“ im Stall von Basti Bützler: Die Kuhbürsten werden stark frequentiert.

 

Höller: „Natürlich sehe ich den Nutzen der modernen Technologien. Auf das aktive Melken möchte ich persönlich aber nicht verzichten. Deshalb werden wir uns in dem neuen Stall in Zukunft nicht für einen Melkroboter, sondern wohl für einen Doppelzehner oder Doppelzwölfer Fischgrätenmelkstand entscheiden, wenn wir die jetzige Melkanlage ersetzen werden. Technische Hilfsmittel wie Herdenmanagementsysteme oder deren Komponenten etwa zur Brunstbeobachtung oder Selektion, mit denen Milchkühe beispielsweise automatisch für die Besamung von der Herde separiert werden können, sind aber schon sehr hilfreich und ab einer gewissen Herdengröße als Ergänzung zu der persönlichen Tierbeobachtung wohl auch unverzichtbar.“

 

DIALOG MILCH: Eine letzte Frage: Tiergesundheit und Tierwohl hängen zusammen. Wie oft ist der Tierarzt bei Ihnen?

Bützler: „Wir haben eine feste Routine, nach der der Tierarzt alle zwei Wochen zu uns kommt. Bei diesen Terminen erfolgen beispielsweise Trächtigkeitsuntersuchungen und Behandlungen, wenn sie erforderlich sind. Ansonsten kommt unser Tierarzt auch nach Bedarf, wenn etwas Außergewöhnliches anstehen sollte. Das ist aber gottlob selten der Fall. Antibiotika nutzen wir nur im Fall einer Erkrankung, wenn keine andere Behandlung möglich ist, sowie zum Trockenstellen. Impfungen erfolgen nach Bedarf bzw. Empfehlung durch den Tierarzt.“

Höller: „Routinebesuche durch den Tierarzt bringen Sicherheit mit Blick auf Tiergesundheit und Tierwohl, schaffen Klarheit, ob Tiere trächtig sind oder nicht, und senken Kosten, wenn man diese bei uns alle drei Wochen anstehenden Routinetermine mit dem Tierarzt auch für andere gegebenenfalls anstehende Behandlungen wie die Enthornung der Kälber nutzt. Auch bei uns werden Antibiotika nur gezielt im Krankheitsfall sowie zum Trockenstellen verabreicht.“

Fazit der beiden Milcherzeuger

„Ich finde diesen Blick über den Tellerrand sehr spannend und sehr nützlich“, sagt David Höller abschließend. „Mein Eindruck ist, dass wir auf beiden Betrieben jeweils sehr großen Wert auf Tierwohl legen. Auch wenn manche Strategien und Ansätze unterschiedlich sind: Das Tier so oder so im Blick zu behalten und mit Sachverstand damit umzugehen, das zeichnet unseren Betrieb mit 60 Kühen offenbar genauso aus wie den Betrieb von Basti Bützler mit 200 Milchkühen.“

Und Basti Bützler ergänzt: „Ich sehe das genauso. Ich erlebe, dass die Technik mir hilft, mit jedem einzelnen Tier optimal umzugehen. Aber auch ich bin täglich mehrfach im Stall, weil ich die Tiere zusätzlich zu allen digitalen Daten auch selbst sehen und erleben möchte. Und noch eines: Ich finde einen solchen Austausch unter Berufskollegen immer hilfreich und interessant.“

DIALOG MILCH: Herr Bützler, Herr Höller – Ihnen beiden ein herzliches Dankeschön für die offenen Einblicke, die Sie uns gewährt haben.