Im Nachgang zu dem Interview, das DIALOG MILCH mit Professor Dr. Alexander Starke,dem Direktor der Klinik für Klauentiere an der Universität Leipzig führen konnte, folgt in diesem Gastbeitrag seine Einschätzung zu Entwicklungen und aktuellen Forschungsfragen im Bereich der Milchkuhhaltung
In der landwirtschaftlichen Praxis gibt es zum Teil Kompromisse zwischen Tierwohl und Umweltschutz, die im Wesentlichen auf einem Defizit beruhen: eigentlich vorhandenes Wissen kommt nicht zur Anwendung. Das bedeutet, dass Qualifikation und deren Gewährleistung noch besser in die Fläche gebracht werden müssen. Dennoch sind auch Gedanken zu neuen, innovativen Systemen erforderlich, mit denen die bestehenden Potenziale zum Wohl von Tier,
Umwelt und Mensch besser genutzt werden können. Wenn beispielsweise den unkontrollierten Emissionen auf der Weide durch eine konsequente Stallhaltung begegnet werden soll, dann muss der Stall so beschaffen sein, dass er den Tieren und ihren Bedürfnissen gerecht wird und Emissionen durch Filter vermieden werden. Aber das muss bezahlbar bleiben; auch in dieser Frage ist sicher weiterer wissenschaftlicher Fortschritt nötig.
Setzt sich auch für verpflichtende Aus- und Weiterbildung ein: Prof. Starke (©Prof. Starke, Universität Leipzig)
Fütterungsregimes[1] im Blick
Automatische Futtervorlage – lieber kleinere Mengen, dafür mehrfach täglich frisch!
Wiederkäuer sind ein Phänomen: Sie haben es im Lauf der Evolution geschafft, aus „Holz“ bzw. Rohfaser indirekt und mithilfe der Mikroben ihrem Pansen wertvolles Eiweiß zu machen und dürfen deshalb nicht stigmatisiert werden. Allerdings gibt es zum Teil suboptimale Fütterungsregimes, die Wiederkäuer zum Nahrungskonkurrenten des Menschen machen können. Mit Blick auf optimale Fütterungsregimes gibt es also sicher noch Potenzial für weitere Forschung.
Es bleibt aber auch festzustellen: Wenn man vergleicht, was früher „in die Luft geblasen wurde“, sind wir etwa mit Precision Farming – der Präzisionslandwirtschaft auch im Stall[2] – schon ziemlich weit. Dennoch ist und bleibt der Transfer des Wissens, das bereits verfügbar ist, in die Praxis ein ganz wesentlicher Ansatz. Dazu werden in den nächsten zwei Jahren seitens der Universität Leipzig zwei „Best Practice Betriebe“ in Brandenburg begleitet, um beispielhaft ein optimales Tiergesundheitsmanagement umzusetzen.
Ansätze über Züchtung?
Die Domestizierung der Milchkuh und die seither erfolgte Zucht der Tiere bedeutet eigentlich, dass der Prozess der natürlichen Evolution und Selektion „ausgeschaltet“ wurde. In der Zucht wurden schon riesige Fortschritte und sie wird weiter voranschreiten. Bevor wir hier aber versuchen, durch weitere Zucht noch produktiver zu wirtschaften, sollten wir zunächst die Haltungssysteme weiter optimieren und nach weiteren Alternativen suchen – und erst dann den Weg für weitere Zuchtziele einschlagen.
Freie Bewegung, Hygiene und Klimaführung etc. stehen für vielfältige positive Entwicklungen in der Milchkuhhaltung
Beispiel für erfolgreiche Zucht auf lange Nutzungsdauer und hohe Leistung: Betrieb Kemmerling (©Kemmerling, Much)
Absehbare oder notwendige Entwicklungen
Energieeffizienz und die Nutzung von Ressourcen – das sind Bereiche, in denen weiter gearbeitet werden muss, und in denen weitere Entwicklungen zu erwarten sind. Zwar wurde mit der Wärmerückgewinnung bei der Milchkühlung oder der Erzeugung von Biogas aus Gülle schon viel erreicht, aber Ressourceneffizienz bleibt ein wichtiges, noch sehr viel weiter reichendes Thema. Dabei gilt es, auch daran zu arbeiten, dass die Systeme noch tiergerechter und noch umweltverträglicher werden. Ein Aspekt wären hier etwa die Böden in den Lauf- und Liegebereichen der Kühe, ein anderer die Gestaltung von Wänden und Dächern, um die Klimaführung in den Ställen zu optimieren. Dazu gehört auch, selbstkritisch die bestehenden Systeme anzuschauen und zu fragen, ob man selbst dort als Tierhalter oder Melker arbeiten oder „als Tier“ dort leben möchte. Da sollten wir unsere Brille einmal putzen und prüfen, ob wir den richtigen Blick haben!
[1] Der Begriff Fütterungsregimes steht für die ausgewogene Zusammenstellung der einzelnen Futterkomponenten in der Milchkuhhaltung, mit der der ernährungsphysiologische Bedarf der Tiere und der Bedarf zur Erzeugung einer entsprechenden Milchleistung bestmöglich gedeckt wird.
[2] Etwa über Pedometer zur Aktivitätserfassung, automatische Melk- und Fütterungssysteme, Herdenmanagementprogramme etc.